Der Kläger wendet sich gegen das endgültige Nichtbestehen der Ersten juristischen Staatsprüfung und begehrt im Berufungsverfahren die Neubewertung einer Aufsichtsarbeit. Die Bewertung sei rechtsfehlerhaft, da die Prüfer wiederholt den Aufbau der Prüfung der §§ 107 ff. BGB (Regelungen zur Geschäftsfähigkeit) kritisiert hätten. Es würde daher eine unzulässige Doppelverwertung vorliegen.
Der Kläger hatte in erster Instanz vor den Verwaltungsgericht Freiburg Erfolg. Auf die Berufung des beklagten Landes wurde allerdings das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen (AZ: 9 S 982/22).
Der Verwaltungsgerichtshof nimmt Entscheidungen zum Anlass, zunächst die Grundsätze zur gerichtlichen Überprüfung von Prüfungsentscheidungen zusammenfassend zu referieren:
„Der das Prüfungsrecht beherrschende Grundsatz der Chancengleichheit gebietet eine gleichmäßige Beurteilung aller vergleichbaren Kandidaten. Dies ist nur erreichbar, wenn den Prüfungsbehörden bei prüfungsspezifischen Wertungen ein Entscheidungsspielraum verbleibt und die gerichtliche Kontrolle insoweit eingeschränkt ist. Der Bewertungsspielraum ist überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begehen, anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 […]). Ein in diesem Sinne allgemeingültiger Bewertungsgrundsatz ist es, dass fachlich zutreffende Antworten und brauchbare Lösungen im Prinzip nicht als falsch bewertet werden und nicht zum Nichtbestehen führen dürfen. Soweit die Richtigkeit oder Angemessenheit von Lösungen wegen der Eigenart der Prüfungsfrage nicht eindeutig bestimmbar ist, gebührt zwar dem Prüfer ein Bewertungsspielraum, dem aber ein Antwortspielraum des Prüflings gegenübersteht. Eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darf nicht als falsch bewertet werden. Fachliche Fragen fallen nicht in den prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991, s.o.).
Demgegenüber sind Gegenstände des prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraums etwa die Punktevergabe und Notengebung, soweit diese nicht mathematisch determiniert sind, die Einordnung des Schwierigkeitsgrades einer Aufgabenstellung, bei Stellung verschiedener Aufgaben deren Gewichtung untereinander, die Würdigung der Qualität der Darstellung, die Gewichtung der Stärken und Schwächen in der Bearbeitung sowie die Gewichtung der Bedeutung eines Mangels (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.11.1997 – 6 C 11.96 -, […]). Ebenso handelt es sich um eine dem Prüfer vorbehaltene prüfungsspezifische Wertung, ob im Hinblick auf eine entsprechend definierte Notenstufe bzw. zugeordnete Punktzahl eine Prüfungsleistung als „brauchbar“ oder als „mangelhaft“ zu bewerten ist. In diesen Bereich des prüfungsspezifischen Bewertungsspielraums dürfen die Gerichte grundsätzlich nicht eindringen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.08.2011).“
Der Verwaltungsgerichtshof argumentiert sodann damit, dass es sich um grundsätzlich eigenständige Fehler bei der Rechtsanwendung handle, wenn eine Regelung bzw. ein Regelungskomplex an verschiedenen Stellen der Klausurbearbeitung anzuwenden sei und der Prüfling die entsprechende Subsumtion und damit auch den Prüfungsaufbau mehrfach vorzunehmen habe. Der Grundsatz, wonach das Gewicht eines Folgefehlers in den gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbaren Beurteilungsspielraum des Prüfers falle, gelte auch bei einer bereits im Kontext einer anderen Prüfungsaufgabe geäußerten, wiederholten Kritik des Prüfers am Prüfungsaufbau. Letztlich komme im vorliegenden Fall, bei einer konkreten Betrachtung der Klausurbearbeitung, dem Aufbaufehler jeweils eigenständige Bedeutung zu.
Die Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach stehen Ihnen bei Fragestellungen aus dem Hochschulrecht und Prüfungsrecht gerne jederzeit zur Verfügung. Unseren Fachanwalt für Verwaltungsrecht Tobias Ibach erreichen Sie auch direkt per E-Mail unter ibach@goi-anwaelte.de