Hintergrund
Das Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX dient dem Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer vor einer möglichen Kündigung. Es soll sicherstellen, dass die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch einer Kündigung angehört wird und mögliche Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung ergriffen werden. Hiernach schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Diese Vorschrift soll der Behebung von Schwierigkeiten dienen, die bei der Beschäftigung von Schwerbehinderten auftreten, „um das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortsetzen zu können“, so heißt es zudem dazu bereits in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/3372, 19).
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln
Das Arbeitsgericht Köln hat in seinem Urteil vom 20.12.2023 – Az. 18 Ca 3954/23 eine wegweisende Entscheidung zur Durchführung des Präventionsverfahrens getroffen. Dabei wurde insbesondere die Frage behandelt, ob das Präventionsverfahren auch vor Ausspruch einer Kündigung während der Wartezeit nach § 173 SGB IX durchzuführen ist. Das Gericht entschied, dass das Präventionsverfahren auch vor einer Kündigung während der Wartezeit und damit auch während einer vereinbarten Probezeit durchgeführt werden muss, andernfalls ist die Kündigung wegen einer unzulässigen Diskriminierung unwirksam, §§ 134 BGB i.V.m. § 164 Abs. 2 SGB IX. Es betonte die Bedeutung der frühzeitigen Einbindung der Schwerbehindertenvertretung und unterstrich die Pflicht des Arbeitgebers, mögliche Maßnahmen zur Vermeidung der Kündigung zu erörtern.
Analyse und Auswirkungen
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln hat gravierende Auswirkungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Sie verdeutlicht die Bedeutung des Präventionsverfahrens als Instrument des Schutzes schwerbehinderter Arbeitnehmer und unterstreicht die Pflicht des Arbeitgebers zur frühzeitigen Einbindung der Schwerbehindertenvertretung. Wird diese unterlassen, kann das zu einer Unwirksamkeit einer Kündigung führen und folgerichtig ggf. zu Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers aufgrund einer Diskriminierung wegen einer Behinderung. Das Unterlassen des Präventionsverfahrens könnte dabei dann schon als starkes Indiz für eine unzulässige Diskriminierung wirken, mit der Folge der Umkehr der Beweislast für den Arbeitgeber und zu Schadensersatzansprüchen zugunsten des Arbeitnehmers.
Angesichts des Urteils des Arbeitsgerichts Köln sind Arbeitgeber zukünftig gezwungen noch proaktiver zu handeln. Sie müssen schon während der Wartezeit das geschuldete Präventionsverfahren einleiten und die Schwerbehindertenvertretung in den Prozess einbeziehen. Durch eine frühzeitige und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer können potenzielle Konflikte vermieden und die Integration schwerbehinderter Arbeitnehmer am Arbeitsplatz nachhaltig gefördert werden.
Wo Licht ist, da ist bekanntlich aber auch Schatten. Weniger inklusiv denkende Arbeitgeber könnten zur Vermeidung des Präventionsverfahrens den Weg über die Befristung eines Arbeitsverhältnisses wählen. Dann endet das Arbeitsverhältnis – Behinderung hin oder her – in jedem Fall, ohne dass es einer Kündigung bedarf.
Fazit
Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln stellt einen ersten Meilenstein in der Rechtsprechung zum Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer dar. Arbeitgeber sind angehalten, das Präventionsverfahren auch vor einer Kündigung während der Wartezeit und damit wohl auch während einer vereinbarten Probezeit durchzuführen, um den Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer zu gewährleisten. Diese Entscheidung trägt dazu bei, die Rechte schwerbehinderter Arbeitnehmer zu stärken und ihre Integration am Arbeitsplatz zu fördern. Leider kann der sich aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Köln erhoffte Schutz leicht umgangen werden. Man kann ihn durch eine Befristung des Arbeitsvertrags umgehen.
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