
Einleitung
In den letzten Jahren sorgt ein Phänomen im Arbeitsrecht für erhebliche Diskussionen: Immer wieder machen Bewerber AGG-Entschädigungsansprüche durch missbräuchliche Bewerbungen geltend, obwohl der Eindruck entsteht, dass es ihnen weniger um die Stelle als vielmehr um die Entschädigung an sich geht. Daher ist es wichtig, AGG Rechtsmissbrauch zu erkennen und abwehren zu können. Wir mussten unlängst einen Arbeitgeber aus Pforzheim wieder gegen solche Machenschaften verteidigen, bis vor das Landesarbeitsgericht in Stuttgart.
Besonders aufsehenerregend ist aber aktuell ein Fall aus Nordrhein-Westfalen, bei dem eine transsexuelle Person bereits rund 250 Klagen gegen Unternehmen wegen angeblicher Diskriminierung eingereicht hat. Das Vorgehen solcher sogenannter „AGG-Hopper“ wirft nicht nur rechtliche, sondern auch gesellschaftliche Fragen auf. Im Folgenden beleuchten wir die aktuelle Rechtslage, die Verteidigungsmöglichkeiten für Arbeitgeber und geben praxisnahe Empfehlungen – selbstverständlich mit Bezug auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
Die rechtliche Ausgangslage: Schutz vor Diskriminierung und Entschädigungsansprüche
Das AGG schützt Beschäftigte und Bewerber vor Benachteiligungen aus Gründen wie Geschlecht, ethnischer Herkunft, Religion, Behinderung, Alter oder sexueller Identität (§ 1 AGG). Auch Bewerber zählen nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zum geschützten Personenkreis. Wird gegen das Benachteiligungsverbot (§ 7 Abs. 1 AGG) verstoßen, können Betroffene nach § 15 Abs. 1 AGG Schadensersatz und nach § 15 Abs. 2 AGG eine angemessene Entschädigung verlangen. Bei einer Nichteinstellung darf diese Entschädigung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, sofern der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
Eine Besonderheit ist die Beweiserleichterung nach § 22 AGG: Es genügt, dass der Bewerber Indizien vorträgt, die eine Benachteiligung wegen eines AGG-Merkmals vermuten lassen. Gelingt dies, muss der Arbeitgeber beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag – eine hohe Hürde in der Praxis. Gerade im Zusammenhang mit AGG-Entschädigungsansprüchen durch missbräuchliche Bewerbungen diese Beweiserleichterung ein zentrales Thema.
„AGG-Hopper“ und der Missbrauch des Entschädigungsanspruchs
Unter dem Begriff „AGG-Hopper“ versteht man Personen, die gezielt nach potenziell diskriminierenden Stellenanzeigen suchen, sich darauf bewerben und nach einer Absage AGG-Entschädigungsansprüche durch missbräuchliche Bewerbungen geltend machen. Häufig werden standardisierte Bewerbungen verwendet, oft ohne ernsthaftes Interesse an der Stelle. Dieses Vorgehen kann für Unternehmen nicht nur finanziell belastend sein, sondern auch den eigentlichen Schutzzweck des AGG untergraben. Schwierig, aber nicht unmöglich ist es AGG-Entschädigungsansprüche durch missbräuchliche Bewerbungen zu erkennen und abwehren.
Ein aktuelles Beispiel: In Nordrhein-Westfalen hat eine transsexuelle Person laut Medienberichten bereits rund 250 Klagen eingereicht, weil in Stellenausschreibungen das „d“ für divers fehlte. Nach Angaben des Arbeitsgerichts Bielefeld hat sie so bereits rund eine Viertelmillion Euro eingenommen – steuerfrei und ohne Anrechnung auf das Bürgergeld. Auch hier stehen die AGG-Entschädigungsansprüche durch missbräuchliche Bewerbungen im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte.
Rechtsmissbrauch als Verteidigungsmöglichkeit
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in mehreren aktuellen Urteilen klargestellt, dass dem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) entgegenstehen kann. Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn sich der Bewerber nicht ernsthaft um die Stelle beworben hat, sondern nur den formalen Bewerberstatus erlangen wollte, um AGG-Entschädigungsansprüche durch missbräuchliche Bewerbungen geltend zu machen.
Das BAG verlangt für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs ein objektives und ein subjektives Element:
- Objektiv: Systematisches, zielgerichtetes Vorgehen mit dem Ziel, einen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen (z. B. viele gleichlautende Bewerbungen, zahlreiche Klageverfahren, Bewerbungen auf offensichtlich unpassende Stellen).
- Subjektiv: Die Absicht, nicht tatsächlich die Stelle zu erhalten, sondern nur eine Entschädigung zu erlangen.
Das BAG hat zuletzt mit Urteil vom 19.09.2024 (8 AZR 21/24) die Linie bestätigt, dass ein solcher Bewerber keinen Anspruch auf Entschädigung hat, wenn das Gericht ein „Geschäftsmodell“ erkennt, das allein auf die Geltendmachung von AGG-Entschädigungsansprüchen durch missbräuchliche Bewerbungen abzielt.
Beispiele für Indizien eines Rechtsmissbrauchs – Rechtsmissbrauch erkennen und abwehren
- Zahlreiche, gleichförmige Bewerbungen und Klagen
- Bewerbungen auf Stellen, für die keine ausreichende Qualifikation vorliegt
- Große Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort ohne Umzugsbereitschaft
- Standardisierte Anschreiben, die gezielt auf AGG-Merkmale abzielen
- Nachweislich kein ernsthaftes Interesse an der ausgeschriebenen Stelle
Arbeitgeber dürfen diese Informationen im Prozess verwenden, da dies nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO zur Wahrung berechtigter Interessen zulässig ist.
Anforderungen an Arbeitgeber: Substanziierter Vortrag und Beweisführung. Arbeitgeber müssen den Einwand des Rechtsmissbrauchs konkret und substanziiert vortragen – idealerweise bereits im ersten Verfahrenszug. Es reicht nicht, pauschal von einem „AGG-Hopper“ zu sprechen. Vielmehr sollten Arbeitgeber:
- Frühere Klageverfahren des Bewerbers dokumentieren
- Nachweise für systematisches Vorgehen sammeln (z. B. identische Anschreiben, Bewerbungen auf unpassende Stellen, Recherche im Internet und in der „Branche“, außergewöhnliche Kontaktaufnahme und Kommunikation mit dem Unternehmen, Diskrepanzen zwischen Bewerbung und Stelle insbesondere Widersprüche zwischen Freizeitverhalten und Vollzeitstelle)
- Beweisanträge stellen, etwa auf Beiziehung von Akten aus Parallelverfahren oder Zeugenvernehmungen
Gerade im Zusammenhang mit AGG-Entschädigungsansprüchen durch missbräuchliche Bewerbungen ist eine frühzeitige und umfassende Dokumentation der beste Schutz.
Praxistipps für Unternehmen
- Stellenanzeigen diskriminierungsfrei formulieren: Verwenden Sie stets geschlechtsneutrale und inklusive Formulierungen (z. B. „m/w/d“). Lassen sie missverständliche Formulierungen wie „junges dynamisches Team“ zur Selbst- und/oder Bewerberbeschreibung weg.
- Personal schulen: Sensibilisieren Sie Ihre Personalabteilung regelmäßig für die Anforderungen des AGG. Überlegen Sie zweimal was sie konkret einem Bewerber und wie beantworten.
- Dokumentation: Halten Sie Auswahlentscheidungen und Ablehnungsgründe schriftlich fest.
- Verdachtsfälle prüfen: Bei Verdacht auf missbräuchliche Bewerbungen frühzeitig den Einwand des Rechtsmissbrauchs prüfen und dokumentieren.
- Rechtzeitig reagieren: Im Streitfall sollten Sie alle relevanten Informationen und Beweise bereits im ersten Schriftsatz vorlegen. Verteidigen Sie sich nicht selbst sondern holen Sie sich qualifizierte Hilfe durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht.
Fazit
Das AGG schützt Bewerber und Beschäftigte vor Diskriminierung – doch das Gesetz ist kein Freifahrtschein für AGG-Entschädigungsansprüche durch missbräuchliche Bewerbungen. Die aktuelle Rechtsprechung des BAG stärkt die Position der Arbeitgeber, indem sie den Einwand des Rechtsmissbrauchs anerkennt, stellt aber hohe Anforderungen an die Beweisführung durch den Arbeitgeber. Unternehmen sollten daher ihre Prozesse und Dokumentation optimieren, um sich vor unberechtigten Ansprüchen zu schützen und den eigentlichen Schutzzweck des AGG zu wahren.
Weitere Informationen rund um das Thema Arbeitsrecht und Diskriminierungsschutz finden Sie auf unserer Themenseite Arbeitsrecht sowie in unseren aktuellen Beiträgen.
Haben Sie sonst Fragen zur praktischen Umsetzung des AGG und der Abwehr von AGG-Hoppern oder benötigen Sie arbeitsrechtliche Beratung? Kontaktieren Sie unseren Experten im Bereich Arbeitsrecht, Ralf Onasch. Er steht Ihnen gerne mit fachkundiger Beratung zur Seite.