Die Kläger wenden sich im Wege einer Baunachbarklage gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines grenzständigen Mehrfamilienwohnhauses mit vier Wohneinheiten unter Befreiung von den bauplanungsrechtlichen Festsetzungen zur Bauweise. Auf dem eigenen Grundstück der Kläger befindet sich eine grenzständig errichtete Nachbarbebauung, die ein, in Worten des Gerichts, in jeder Hinsicht vergleichbares Maß erreiche wie das Vorhaben der Nachbarn, die als Beigeladene am Verfahren beteiligt waren.
In erster Instanz hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe die Klage abgewiesen (Urteil vom 24.4.2023, Az. 2 K 1313/22). Die Kläger stellten daraufhin einen Antrag auf Zulassung der Berufung beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg. Dieser hat den Antrag abgelehnt. Er schließt sich zur Begründung den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an, wonach eine abweichende Sichtweise die Folgen einer Befreiung für die Nachbargrundstücke völlig ausblenden würde. Dadurch würde ein Verstoß gegen nachbarliche Interessen begründet und das wechselseitige Austauschverhältnis, dass in der offenen Bauweise nach § 22 Abs. 2 BauNVO zum Ausdruck komme, grundlegend erschüttert. Insbesondere habe es sich bei lebensnaher Betrachtung den Klägern selbst bei laienhafter Sicht aufdrängen müssen, dass das Nachbargrundstück mit einem grenzständigen Hauptgebäude bebaut werden würde. Die Berufung auf ein nachbarliches Abwehrrecht können gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sich der Rechtsinhaber treuwidrig zu seinem eigenen vorausgegangenen Verhalten in Widerspruch setze (Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 11.2.1997, Az. 4 B 10/97). Für die Frage der Verwirkung bestehender Abwehrrechte oder sonstiger Verstöße gegen Treu und Glauben sei in erster Linie das Vorverhalten des Rechtsinhabers (bzw. seiner Rechtsnachfolger) in der Vergangenheit maßgeblich.
In diesem Zusammenhang führt der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die dem Rechtsvorgänger erteilte Baugenehmigung den Einwand treuwidrigen bzw. widersprüchlichen Verhaltens nicht ausschließe. Denn die Möglichkeit einer Grenzbebauung werde in Gebieten der offenen Bauweise gerade durch den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze eröffnet. An diesem Verzicht müsse der Grundstückseigentümer sich auch dann festhalten lassen, wenn sein Vorhaben, wie regelmäßig, durch Baugenehmigung legalisiert werde. Dies gelte aufgrund der Grundstücksbezogenheit der jeweiligen Abwehrrechte auch gegenüber etwaigen Rechtsnachfolgern (Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.1991, Az. 3 S 2000/91).
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