Dieser – für Arbeitgeber und die Versicherungsgemeinschaft leidigen – Praxis hat das Bundesarbeitsgericht jetzt einen Riegel vorgeschoben und folgendes geurteilt (BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21):
Die Klägerin war bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 08.02.2019 kündigte sie das Arbeitsverhältnis selbst und legte der Beklagten eine auf den 08.02.2019 datierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung („gelber Schein“) vor. Daraufhin verweigerte die Beklagte die Entgeltfortzahlung nach §§ 3 EntgFG, 7 EntgFG. Sie behauptete, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert sei, weil sie genau die Kündigungsfrist der Klägerin abdecke. Dagegen machte die Klägerin geltend, dass sie ordnungsgemäß krankgeschrieben worden wäre und kurz vor einem Burn-Out gestanden habe, was so schlimm war, dass man deswegen nicht hatte weiterabreiten können. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zur Entgeltfortzahlung verurteilt. Hiergegen legte die Beklagte Revision ein. Mit Erfolg!
Zwar hat die Klägerin die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen (diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel dafür), dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber aber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin geben. Gelingt ihm das, muss der Arbeitnehmer substantiiert darlegen und beweisen, dass er wirklich arbeitsunfähig krank gewesen ist. Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Das Zusammenfallen zwischen der Kündigung und der daraufhin sofort vom Arzt bescheinigten Arbeitsunfähigkeit für den Beendigungszeitraum begründet bereits ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin. Daher muss jetzt die Klägerin vollumfänglich beweisen, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Vorliegend ist ihr das nicht gelungen, sodass ihre Klage vollumfänglich abzuweisen war.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts wird weitergehende Folgen haben (müssen).
Spinnt man den Fall weiter, liegt es nicht fern auf den Gedanken zu kommen, dass die Klägerin hier versucht haben könnte sich zu Unrecht Entgeltfortzahlungsansprüche zu erschleichen. Sie wird sich daher ggf. an anderer Stelle jetzt weiter zu verteidigen haben. Auch der an der Krankschreibung beteiligte Arzt wird sich Sorgen machen müssen. Er könnte zur Tat der Klägerin Beihilfe geleistet haben und deswegen nicht nur seine Zulassung in Gefahr sehen, sondern wird auch vertiefte Kontrollen der Krankenkassen jetzt fürchten müssen, die sich die Krankschreibungspraxis von Ärzten weiter ansehen werden. Immerhin müssen diese dem Arbeitgeber in bestimmten Fällen die von ihm gezahlte Entgeltfortzahlung teilweise wieder erstatten und was generell zu Lasten der Versicherungsgemeinschaft geht.
Die Rechtsanwälte und Fachanwälte der Kanzlei Gräber Onasch Ibach beraten und vertreten regelmäßig Unternehmen und Mitarbeiter in allen Bereichen des Arbeitsrechts. Wir stehen Ihnen für weitere Beratung und Begleitung auch auf diesem arbeitsrechtlichen Feld gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns!