
Muss ein Professor immer eine klassische Vorlesung halten oder genügt es, wenn er seinen Studierenden nur Materialien zum Selbststudium bereitstellt? Mit dieser aktuellen und praxisrelevanten Frage aus dem Hochschulrecht musste sich kürzlich der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg befassen. Unser Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Tobias Ibach, erläutert die Entscheidung und die Konsequenzen für Betroffene im Raum Karlsruhe, Baden-Baden und Pforzheim.
Worum ging es in dem Fall?
Ein Professor für Mathematik an einer Hochschule in Baden-Württemberg führte seine Lehre im Corona-Sommersemester 2020 in Form eines „begleiteten Selbststudiums“ durch. Dieses Vorgehen wurde später im VGH Urteil zur Lehrpflicht und zum Selbststudium thematisiert. Anstatt Vorlesungen – sei es in Präsenz oder digital per Videokonferenz – abzuhalten, stellte er den Studierenden lediglich wöchentliche Arbeitspläne, Skripte und Übungsaufgaben auf einer Online-Lernplattform zur Verfügung. Zusätzlich bot er an, aufkommende Fragen per E-Mail zu beantworten.
Nachdem sich die Studierendenschaft über die Lehrmethode und extrem hohe Durchfallquoten in den Prüfungen beschwert hatte, leitete die Hochschule ein Disziplinarverfahren gegen den Professor ein. Der Vorwurf: Er sei seiner Lehrverpflichtung nicht nachgekommen. Die Hochschule verhängte eine Geldbuße in Höhe von 4.700 Euro. Der Professor klagte dagegen. Er argumentierte, seine Lehrmethode sei eine Form des didaktisch anerkannten „Flipped Classroom“-Konzepts und von der Freiheit der Lehre gedeckt.
Die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg
Der VGH wies die Berufung des Professors zurück und bestätigte die Disziplinarmaßnahme (Urteil vom 26.08.2025, Az. DL 16 S 1957/23 ). Die Richter machten unmissverständlich klar: Die Erfüllung der Lehrverpflichtung nach dem Landeshochschulgesetz Baden-Württemberg setzt ein Mindestmaß an Interaktion zwischen Lehrenden und Studierenden voraus. Dies wird im VGH Urteil Lehrpflicht Selbststudium deutlich.
Die Kernpunkte der Begründung waren:
- Lehre ist mehr als Materialbereitstellung: Eine Lehrveranstaltung erschöpft sich nicht darin, die Studierenden zum Selbststudium anzuleiten. Der Professor muss den Lehrstoff aktiv selbst vermitteln. Lehre ist ein kommunikativer Prozess, der den Studierenden die Möglichkeit geben muss, durch Nachfragen und Diskussionen am wissenschaftlichen Diskurs teilzunehmen.
- Kein „Flipped Classroom“ im eigentlichen Sinne: Das Gericht stellte fest, dass der Professor die Methode des „Flipped Classroom“ nur unvollständig umgesetzt hatte. Bei diesem Konzept eignen sich Studierende die Inhalte zunächst selbstständig an. Sie sollen diese dann in einer gemeinsamen Präsenz- oder Online-Phase vertiefen und diskutieren. Genau diese zweite, interaktive Phase ließ der Professor komplett ausfallen. In Bezug auf das VGH Urteil zur Lehrpflicht Selbststudium zeigt sich, dass diese Phase unerlässlich ist.
- Verletzung von Dienstpflichten: Indem der Professor über ein ganzes Semester hinweg keine interaktive Lehre anbot, hat er eine Kernpflicht aus seinem Dienstverhältnis als Beamter schuldhaft verletzt. Das Beamtenstatusgesetz verpflichtet ihn, seine Aufgaben gewissenhaft zu erfüllen.
Das Gericht stufte das Dienstvergehen als mittelschwer ein und hielt die verhängte Geldbuße für angemessen.
Fazit und praktische Bedeutung
Das VGH Urteil zur Lehrpflicht im Selbststudium ist eine wichtige Klarstellung für die digitale Lehre. Es betont, dass moderne Lehrformate nicht dazu führen dürfen, die grundlegenden didaktischen und interaktiven Anforderungen an eine Hochschullehre zu unterlaufen. Die Freiheit der Lehre entbindet Professoren nicht von ihrer zentralen Aufgabe, Wissen aktiv zu vermitteln und den Austausch mit den Studierenden zu fördern. Für Hochschullehrer, aber auch für Studierende schafft diese Entscheidung Rechtssicherheit. Sie betrifft die Mindeststandards an Lehrveranstaltungen.
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