
Haben Sie sichergestellt, dass Ihr Geschäftsführerstatus rechtssicher geklärt ist, oder drohen Ihrem Unternehmen unerkannt hohe Beitragsnachforderungen der Rentenversicherung? Vertrauen Sie blind darauf, dass Ihre Lohnbuchhaltung den sozialversicherungsrechtlichen Status korrekt einschätzt?
Das Landgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 04.06.2025 (Az. 27 O 280/24) eine für die Unternehmenspraxis wegweisende Entscheidung zur Haftung von Lohnbuchhaltern und Steuerberatern getroffen. Tobias Ibach, Ihr erfahrener Anwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht, analysiert das Urteil und die strategischen Konsequenzen für Unternehmen in der Region Karlsruhe, Baden-Baden und Pforzheim.
Der Fall: Teure Fehleinschätzung beim Minderheitsgesellschafter
Dem Urteil lag ein klassischer Sachverhalt aus dem Mittelstand zugrunde: Eine Familien-GmbH wurde gegründet, an der der Sohn als Geschäftsführer zu einem Drittel (1/3) beteiligt war. Die beauftragte Steuerberatungsgesellschaft, die auch die Lohnbuchhaltung übernahm, behandelte den Geschäftsführer über Jahre hinweg als „selbständig“ und führte keine Sozialversicherungsbeiträge ab.
Jahre später deckte eine Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung den Fehler auf: Da der Geschäftsführer als Minderheitsgesellschafter keine Sperrminorität besaß, war er rechtlich als abhängig Beschäftigter einzustufen. Die Folge war ein Beitragsbescheid über rund 114.000 Euro Nachzahlung. Die GmbH nahm daraufhin die Steuerberatungsgesellschaft in Regress.
Die rechtliche Streitfrage: Hinweispflichten und Schadensberechnung
Das Gericht musste zwei wirtschaftsrechtlich brisante Fragen klären:
- Haftungsgrund: Muss ein Lohnbuchhalter (bzw. Steuerberater) von sich aus prüfen oder warnen, wenn der sozialversicherungsrechtliche Status eines Geschäftsführers unklar ist?
- Schadenshöhe (Vorteilsausgleichung): Kann der Steuerberater einwenden, dass dem Geschäftsführer durch die Nachzahlungen nun werthaltige Rentenanwartschaften entstehen, die als „Vorteil“ vom Schaden abgezogen werden müssen?
Die Entscheidung: Voller Schadensersatz ohne Abzüge
Das LG Stuttgart entschied zugunsten der klagenden GmbH und verurteilte die Beklagte zum vollen Schadensersatz. Die Begründung enthält wichtige Warnsignale für die Unternehmensführung:
1. Pflicht zur Warnung bei Unklarheit
Zwar darf ein reiner Lohnbuchhalter keine Rechtsberatung erbringen. Er darf aber den Status eines Geschäftsführers nicht eigenmächtig auf „sozialversicherungsfrei“ setzen, wenn keine verbindliche Weisung des Mandanten oder eine rechtskräftige Statusfeststellung vorliegt. Ist die Lage unklar, muss er den Mandanten warnen und auf die Einholung anwaltlichen Rates hinwirken. Unterlässt er dies, haftet er für die resultierenden Beitragsnachforderungen.
2. Keine Anrechnung von Rentenanwartschaften („Vorteilsausgleichung“)
Besonders relevant ist die Ablehnung der sogenannten Vorteilsausgleichung. Die Beklagte argumentierte, der Schaden sei geringer, da der Geschäftsführer nun Rentenansprüche erworben habe. Das Gericht erteilte dem eine Absage: Zwar habe der Geschäftsführer Anwartschaften erlangt, diese sind jedoch nicht liquidierbar. Ein Unternehmen, das jetzt liquide Mittel für Nachzahlungen aufwenden muss, hat keinen Ausgleich durch eine theoretische Rentenzahlung in ferner Zukunft. Die GmbH muss sich diesen „fiktiven Vorteil“ daher nicht anrechnen lassen.
Fazit & Strategische Relevanz
Für Unternehmer und Geschäftsführer ergeben sich aus diesem Urteil klare Handlungsanweisungen:
- Status frühzeitig klären: Verlassen Sie sich bei der Frage der Sozialversicherungspflicht nicht stillschweigend auf die Lohnbuchhaltung. Der Status von Gesellschafter-Geschäftsführern sollte zwingend durch spezialisierte Anwälte geprüft und ggf. durch ein Statusfeststellungsverfahren abgesichert werden.
- Satzung vor Realität: Das Urteil bestätigt erneut, dass für die Sozialversicherungsfreiheit primär die gesellschaftsrechtliche Macht (Satzung, Stimmrechte, Sperrminorität) zählt, nicht die faktische „Freiheit“ im Tagesgeschäft („Schönwetter-Selbständigkeit“).
- Regressmöglichkeiten prüfen: Sollten Sie von Nachforderungen betroffen sein, prüfen Sie, ob Beratungsfehler Ihrer Dienstleister vorliegen. Das Argument der Gegenseite, die erworbenen Rentenpunkte minderten den Schaden, ist nach dieser Rechtsprechung kaum noch haltbar.
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